Bruster Die
Mittagssonne brannte erbarmungslos auf den einsamen Reiter nieder, der
scheinbar kraftlos auf dem Sattel zusammengekauert saß. Seine Augen lagen
tief im Schatten des breitkrempigen Stetsons, welchen er tief in das
sonnengegerbte markante Gesicht geschoben hatte. Obwohl es so aussah, als
würde der Reiter jeden Moment schlafend vom Gaul fallen, entging nichts
seinem scharfen, geschulten Blick. Die Hufe seines Apaloosas wirbelten bei
jedem Schritt kleine Staubwolken auf und hinterließen eine deutliche Fährte
auf dem verbrannten ausgedörrten Boden. Doch das war dem Reiter egal,
denn er wurde ja nicht verfolgt. Im Gegenteil - er war der Jäger und die
Hufspur, welcher er folgte sah immer frischer aus. Ein kaltes Lächeln
zerfurchte sein narbiges Gesicht, als er am Horizont die in der Hitze
wabernde Silhouette des kleinen Waldes erspähte, zu dem die Spur, der er
folgte, offensichtlich führte. Schon viel zu
lange jagte er hinter dem her, den er in diesem Wald wähnte. Und wirklich -
er war nur noch einige Meilen von dem kleinen Wald entfernt, als er den
weißen Rauch eines Lagerfeuers kerzengerade in den blauen Himmel
steigen sah. Er zügelte sein Pferd und betrachtete die Rauchsäule eine
Weile, dann knarrte leise das Sattelleder, als er sich geschmeidig aus dem
Sattel schwang. Mit leisem Sporenklirren versanken die hochhackigen
Stiefel des Jägers bis zu den Knöcheln im Staub. Mit einer tausendmal geübten
fließenden Bewegung, zog der große Mann seine brünnierte Winchester aus
dem vor Lederfett glänzenden Scabbard. Ein kurzer Ruck am Ladehebel und
die Winchester war durchgeladen. Zwei kurze Handgriffe und er hatte den
korrekten Sitz des Bowie-Knifes und des großkalibrigen Colt Dragoons, der
in einem abgegriffenen Holster tief an seiner Hüfte hing, überprüft. Er
liebte diesen Revolver, obwohl er in der Handhabung doch komplizierter
war, als die neuen Frontier-Modelle von Colt, handelte es sich doch um
einen Sixshoot-Vorderlader. Aber erstens war dies das einzige, was ihm
sein Dad vererbt hatte und zweitens gab es keine Handfeuerwaffe die eine
solche Durchschlagkraft hatte und mit der man auch getrost kräftig
zuschlagen konnte, ohne die Mechanik des Revolvers zu beschädigen. Gemächlich
schnallte er sich die großen sternförmigen Sporen ab, um sich nicht
durch das helle metallene Klirren zu verraten, dann hobbelte er den
Apaloosa an und schlenderte langsam mit dem wiegenden Gang eines Mannes,
der sich im Sattel zu Hause fühlte, auf den Wald zu. Die
mittlerweile rot glühende Sonne befand sich im Rücken des Mannes und so
war ihm sein Schatten immer einen Schritt voraus. Am Waldessaum angelangt,
ließ er den Blick nach rechts und links schweifen. Schnell hatte er die
Stelle gefunden, an der jener andere in den Wald geritten war. Der Mann schob
den schweißgetränkten Stetson in den Nacken. Sein aschblondes Haar
klebte verschwitzt in der Stirn, während diese sich verwundert in Falten
legte. Konnte es denn sein, daß der Desperado, den er verfolgte, so
unvorsichtig war, obwohl er doch wissen mußte, daß er ihm dicht auf den
Fersen war?! Nein - für so dumm hielt er den verdammten Mörder nicht.
Der Blonde ging in die Hocke und sein Blick wurde für einen Moment leer,
als er an jenen Tag vor nunmehr fast einem halben Jahr zurückdachte, an
welchem sein Leben mit brutaler Gewalt aus den Angeln gehoben wurde. Eine
Träne zog ihre nasse Spur durch sein staubiges Gesicht, als er an die
letzten Worte seiner geliebten Frau dachte, die in seinen Armen starb. Ihr Name war
„Die den Wind kennt“ und sie war vom Stamme der Navajos. Er
hatte sie geliebt, wie sonst nichts auf der Welt und ihre Liebe zu ihm war
so groß, daß sie ihren Stamm verließ, um mit ihm zu reiten. Sie fragte
nicht wohin, sie sah ihn nur an, nickte und packte ihre paar
Habseligkeiten auf ihren Apaloosahengst, welcher nun ihn trug. Er hatte ein
wenig Land in New Mexiko erworben und wollte dort eine kleine Pferdezucht
aufbauen. Alles ging gut.
Sie bauten eine kleine aber gemütliche Hütte und begannen mit ihrer
Zucht. Anfangs war es hart aber mit der Zeit stellten sich die ersten
Erfolge ein und als „Die den Wind kennt“
ihm in ihrer unnachahmlichen Art
zu verstehen gab, daß sie ein Kind von ihm erwarte, konnte er sein Glück
nicht fassen. Dann kam dieser grauenhafte Tag. Er war
unterwegs, um ein paar verirrte Füllen zu suchen, als er den schwarzen
Qualm am Horizont erblickte und er wußte, daß dies sein Haus war,
welches dort brannte. Noch nie in seinem Leben hetzte er ein Pferd so, wie
an jenem Tag. Doch er kam zu
spät. Als er seine
kleine Ranch erreichte, stand diese bereits nicht mehr. In den rauchenden
Trümmern fand er dann seine Frau. Beii dem Gedanken an diesen Augenblick,
entrang sich ein würgendes Schluchzen seiner Kehle. Er konnte nur
erahnen, was man ihr angetan hatte und ihr Anblick verfolgte ihn noch
heute in seinen Träumen. Ihre einzigen Worte waren noch:
„Mein geliebter...., den einen nannten sie Georgie... der andere
Woodrow.. .räche unser Kind... ich liebe...“, dann starb sie. Jenen Georgie
erwischte er in einem kleinen Nest in Texas, nahe des Rio Bravos und wie
es schien, lag nun jener andere namens Woodrow in diesem Wald. Aber irgend
etwas stimmte nicht. Woodrow mußte wissen, daß er ihm auf den Fersen
war. Wieso benahm er sich dann wie ein Greenhorn und hinterließ eine Fährte,
wie eine Herde wilder Mustangs? Nachdenklich fiel sein Blick auf seine
Winchester, die er über den Oberschenkeln liegen hatte. Am Kolben
reflektierte ein kleines Messingschild das verlöschende Licht der
untergehenden Sonne. Auf diesem
Schild waren die Initialen JB eingraviert. JB für Jonathan Bruster. Das
Gewehr hatte er bei einem Schießwettbewerb in Sweet Water gewonnen und
dieses Schildchen mit seinen Initialen war daraufhin am Schulterstück
angebracht worden. Wie stolz war er damals ob dieser Trophäe gewesen und
wie wenig bedeutete ihm das jetzt alles. Ein Blick nach
hinten zeigte ihm, daß der rote Feuerball fast den Rand des Horizonts
erreicht hatte. Irgendwo dort draußen begrüßte ein Kojote heulend die
kommende Nacht. Bruster löste
die Sicherungsschlaufe vom Hahn seines Colts und ging dann in gebückter
Haltung, alle Sinne aufs Äußerste gespannt, parallel zu Woodrows Fährte,
langsam in das Wäldchen. Er wollte es
jetzt hinter sich bringen - so oder so. Ohne ,Die den
Wind kennt' war ihm sein Leben keinen Priem mehr wert und seine
Pferderanch war eh zum Teufel. Das einzige, was ihm geblieben war, trug er
bei sich, bzw. hatte es in den Satteltaschen
des Apaloosahengstes. Nur die Gedanken an Rache gaben seinem Leben
noch einen Sinn. Nach einigen
Wegminuten konnte er den Schein des Lagerfeuers durch die tief hängenden
Äste der Bäume sehen. Bruster umfaßte
die Winchester mit hartem Griff. Seine Lippen waren nur noch ein
messerscharfer Strich in seinem Gesicht und die Augen hatte er
zusammengekniffen. Jetzt war er am
Ziel. Er konnte die zusammengekauerte Gestalt des Killers am Lagerfeuer
liegen sehen. Jetzt endlich, nach so vielen Monaten würde er Rache nehmen
können. Er lehnte sich
mit der linken Schulter an den Baum und hob das Gewehr. Er visierte den am
Feuer liegenden Mörder an. Zwar lag er in den zuckenden Schatten des
Lagerfeuers, bot aber trotzdem ein gutes Ziel. Dann krachte
der Schuß! Brusters
rechtes Bein wurde nach hinten gerissen und die Winchester entglitt seinen
Händen. Er wurde durch die Wucht der heißen Bleikugel, welche in sein
Bein eingeschlagen war, um die rechte Achse gerissen und krachte auf den
Boden. Instinktiv rollte er sich zur Seite, um kein festes Ziel zu bieten
und wirklich schlug eine Kugel dort ein, wo er noch einen Augenblick
vorher gelegen hatte. ,,Bloody
Hell", schoß es ihm durch den Kopf. Wer war denn jetzt das blutige
Greenhorn? Obwohl er damit
gerechnet hatte, war er blindlings in die Falle getappt, die Woodrow ihm
gestellt hatte. Wahrscheinlich handelte es sich bei der Gestalt am
Lagerfeuer nur um eine zusammengerollte Decke. Er wußte nicht, wie oft er
selber diesen Trick angewandt hatte, wenn er im Indianerland Mustangs
jagte und jetzt war er selber auf diesen uralten Westmann-Trick
hereingefallen. Woodrow mußte irgendwo jenseits des Feuers stehen und er
selber bot wahrscheinlich ein prima Ziel. Sein Bein begann zu
pochen und ein Blick nach unten zeigte ihm, daß aus einer Schußwunde im
Oberschenkel hellrotes Blut hervorsprudelte. Bruster wußte, was das
bedeutete. Die Kugel mußte die Schlagader zerfetzt haben. Er zerquetschte
einen Fluch zwischen den Lippen und knotete mit fahrigen Bewegungen sein
verstaubtes Bandana vom Hals, um damit sein Bein abzubinden. Kaum war ihm
dies gelungen, krachte ein weiterer Schuß durch den Wald. Bruster, der an
einem Baum gelehnt am Boden saß und das Bandana so fest wie nur irgend möglich
in der Leistengegend um sein Bein gebunden hatte, wurde abermals zu Boden
geworfen. Dieses mal riß eine Kugel ein Stück Fleisch aus seiner
Schulter. Der Killer mußte sich um ihn herum geschlichen haben. Ein weiterer
Schuß, der ihn aber verfehlte. Das heiße Blei brummte wie eine zornige
Hornisse dicht an seinem Kopf vorbei. Aber jetzt hatte er das orange Mündungsfeuer
gesehen. Er nahm den
Colt in die gefühllose linke Hand und schob sich am Baum empor, bis er
stand. Trotz Bandana lief ihm Blut warm das Bein hinunter. Er wußte, er
hatte nicht mehr viel Zeit, denn auch die Fleischwunde an der Schulter
blutete stark. Dann hörte er
die hohe Fistelstimme Woodrows. ,,Na Hombre,
das hast du dir anders gedacht. Bin aber nicht so meschugge, wie der arme
Tropf, dem du in Texas das Licht ausgeblasen hast. So wie Du aussiehst,
machst Du es nicht mehr lange mein Freund. Aber ich schätze, ich beende
es jetzt sofort!" Mit diesen Worten trat die schmale Gestalt des
Killers aus dem Schatten der Bäume, hinter denen er sich an Bruster
herangeschlichen hatte. Fast hätte Bruster lachen müssen, so lächerlich
wirkte Woodrow auf ihn. Er trug nur seinen verschlissenen, von zu scharfen
Waschmitteln rosa gebleichten Long-John. In den Händen hielt er ein
Sharp Hinterlader-Gewehr, dessen Mündung noch nach unten zielte. ,,All right Kanaille, schätze Du hast mich an den Eiern". Brusters Stimme klang rauh vor Schmerz und Anstrengung. Er wußte, daß der verfluchte Mörder dort vor ihm erkannt hatte, daß es ihm unmöglich war, den schweren Kavallerie-Revolver, den er in der von dem Schulterschuß tauben linken Hand hielt, zum Schuß hochzubringen, sonst hätte er sich nicht aus seiner Deckung gewagt. ,,Well, ich denke, ich kann mir
die Kugel sparen du Held. Yeah - ich werde einfach hier stehenbleiben und
mir anschauen, wie du langsam verblutest und schlußendlich verreckst. Das
wird mir ein Vergnügen sein“. Bruster wurde
es langsam schwindelig. Lange könnte er sich nicht mehr auf den Beinen
halten, das war ihm klar. Aber er wollte nicht sterben, ohne wenigstens zu
versuchen, Woodrow mit zu nehmen. Langsam glitt ihm der abgegriffene
Revolverknauf aus der blutverschmierten Hand und fiel schwer neben seinen
staubigen Stiefeln auf den trockenen Waldboden. Dann verschwamm Woodrows
Rattengesicht vor seinen Augen. Langsam knickten ihm die Beine weg und
er ging in die Knie. Dann fiel er auf die linke Seite und lag regungslos
am Boden. Woodrow grinste hämisch. Also war er auch diesmal wieder davon
gekommen. Er ging langsam auf die leblos am Boden liegende Gestalt zu.
„So großer Mann, jetzt bist Du nicht mehr so stark, oder?“ Mit
dem Fußrücken drehte er Brusters Körper auf den Rücken. Zumindestens
versuchte er es. Denn als er den Oberkörper nach oben drückte, wirbelte
der vermeintlich Tote herum, griff in einer fließenden Bewegung den auf
dem Boden liegenden Colt und mit einem hellen Knacken wurde der Hahn nach
hinten gezogen. Noch bevor Woodrow sich von seinem anfänglichen Schrecken
erholen konnte, krümmte sich
der Abzugsfinger des grossen Mannes. Mit einem scharfen Fauchen fand das
Blei sein Ziel. Dumpf klatschend durchschlug die Kugel Woodrows Stirn,
zerfetzte sein Großhirn und trat berstend aus der Schädeldecke wieder
aus, wobei Blut und dunkle Gehirnmasse eine schaurige Fontäne bildeten.
Woodrows Kopf wurde nach hinten geschleudert und der Desperado war bereits
tot, als sein ausgemergelter Körper den Boden berührte. Woodrow hatte
den Schuß, der ihn tötete nicht einmal gehört. Keuchend ließ Bruster
den Revolver fallen. Jetzt hatte er es geschafft. Nun konnte er in Ruhe
sterben und sich anderswo mit ,Die den Wind kennt' treffen. Nichts gab es
mehr für ihn zu tun. Er robbte schmerzerfüllt zu dem Baum, an welchem er
gelehnt hatte, um sich daran zu lehnen. Er wollte nicht mit dem Gesicht im
Dreck sterben, als ihn ein Gedanke, wie ein Blitz traf. By Jove - er hatte
noch nicht alles erledigt, es gab durchaus noch etwas zu tun. Schweißüberströmt
zog er sich unter Aufbietung seiner letzten Kräfte am Stamm des Baumes
hoch. Als er endlich stand, drehte sich alles um ihn, aber er riß sich
zusammen - oh ja - er war ein harter Mann. Dann humpelte er auf den
Waldrand zu. Als er diesen erreichte und keinen Halt an den Bäumen mehr
fand, fiel er zu Boden. Die Sonne war mittlerweile untergegangen und nur
der helle Mond spendete noch Licht. Bruster kroch weiter. Meter für Meter
- er wußte nicht wie lange es dauerte, bis er sein Ziel endlich erreicht
hatte. Mit zittriger Hand, zog er sein scharfes Bowie-Knife aus der
Lederscheide, aber es entglitt ihm und fiel zu Boden. Kaum konnte Bruster
noch den Kopf heben. Alles verschwamm und ein seltsames leeres Gefühl
machte sich vom Hinterkopf ausgehend in seinem gesamten Körper breit. Er
hustete und spie den nach Kupfer schmeckenden Schleim aus. Mit einer
letzten Willensanstrengung griff er nach dem Messer und unter Aufbietung
seiner letzten Lebensenergie, gelang es ihm noch den Strick, mit dem er
die Vorderläufe seines Apaloosas zusammengebunden hatte, damit dieser
nicht das Weite suchte, durchzuschneiden. Dann lag er still in der Prairie
und lauschte dem lieblichen Gesang, welcher von weit her zu ihm drang. Er
erkannte die Stimme und als er vor ihr stand, sah er, daß sie schön wie
eh und je war. Als er sie küßte, war sein Körper dort unten schon lange
kalt und leblos. Der Hengst
blieb die ganze Nacht bei seiner Leiche und stupste seinen Körper ab und
zu an. Als sich jedoch
der Horizont leicht rosa färbte und die Kälte der Nacht einem weiteren
heißen Tag weichen mußte, stieg der Hengst mit den Vorderhufen hoch,
wieherte laut und galoppierte zurück in die Freiheit. * THE END OF
THE TRAIL*
by Holger "Hesh" Erfurth |